»ChatGPT, schreib mir einen Roman!«

Ist KI für Autoren Autopilot? Co-Pilot? Ethische Herausforderung? Oder alles?

Ihr habt eine geniale Idee für einen Fantasy-Epos, der Welten erschüttern könnte, aber der Gedanke an 100.000 Wörter puren Textes lähmt euch? Der Traum ist nur allzu verlockend: Einfach ChatGPT den Befehl „Schreibe mir einen Bestseller über einen Drachenreiter, der die Welt vor dem Untergang rettet“ geben, zurücklehnen und auf den fertigen Roman warten.

Ich muss euch enttäuschen – oder vielleicht eher beruhigen: So einfach ist es nicht. Die aktuelle Generation von KI ist kein magischer Geschichtenerzähler, sondern ein komplexes Werkzeug, das präzise gesteuert und dessen Ergebnis sorgfältig kuratiert werden muss.

In diesem Artikel zeige ich euch, wie Autoren künstliche Intelligenz heute wirklich einsetzen – als Assistenten, Sparringspartner und manchmal sogar als konzeptionelles Element ihrer Geschichten. Wir werfen einen Blick in die konkrete Werkzeugkiste, die euch zur Verfügung steht, aber auch auf die heiklen rechtlichen und ethischen Debatten, die die Literaturwelt gerade gehörig aufwühlen.

Pioniere und Praktiker: So wird KI heute schon eingesetzt

Weit entfernt vom „Roman auf Knopfdruck“ nutzen Schriftsteller KI auf vielfältige und oft überraschende Weise. Die spannendsten Beispiele zeigen, dass es nicht um das Ersetzen, sondern um das Erweitern der eigenen Kreativität geht.

Der künstlerische Ansatz: Rie Kudan

Das wohl prominenteste Beispiel lieferte die japanische Autorin Rie Kudan. Anfang 2024 gewann sie einen der renommiertesten Literaturpreise Japans und verriet bei der Preisverleihung, dass sie „aktiv“ KI eingesetzt hatte. Aber wie? Sie ließ ChatGPT gezielt Sätze für die Stimme einer KI-Figur in ihrem Roman formulieren. Am Ende machten diese Passagen nur etwa fünf Prozent des gesamten Buches aus. Die KI war für sie also kein Ghostwriter, sondern ein Werkzeug, um eine Figur authentisch zum Leben zu erwecken und diente ihr zudem als vertrauenswürdiger Dialogpartner für komplexe Ideen.

Der pragmatische Ansatz: Manuela Sanne & die Community

Viele Autoren nutzen KI im Kleinen und sehr praxisorientiert. Die deutsche Autorin Manuela Sanne beschrieb ihr Experiment, mit ChatGPT einen neuen Anfang für ihre Krimireihe zu entwickeln. Das Ergebnis kam nicht auf Knopfdruck. Erst nach mehrfachem, präzisem Anweisen („Prompts“) und manueller Überarbeitung der Vorschläge war das Resultat „einigermaßen okay“. Genau das ist der Alltag vieler Schreibender: Sie lassen sich nicht ganze Kapitel, sondern Variationen für einen Absatz schreiben, feilen an den Prompts, bis der Ton stimmt, oder nutzen die KI zur schnellen Generierung von Charakter- und Ortsnamen, um im kreativen Fluss zu bleiben. Es ist ein ständiges Anweisen, Bewerten und Verfeinern.

Die professionelle Akzeptanz: Hugh Howey

Dass KI im Mainstream der Autorenwelt ankommt, zeigt das Beispiel von Hugh Howey, dem Bestseller-Autor der „Silo“-Trilogie. Er wirbt ganz offen als Testimonial für das spezielle Autoren-Tool „Sudowrite“ und beschreibt es als „beängstigend gut“. Wenn ein derart etabliierter Autor die Technologie öffentlich unterstützt, ist das ein klares Zeichen: KI ist mehr als nur ein Gimmick.

Eure KI-Werkzeugkiste: Ein Spektrum an Möglichkeiten

Stellt euch KI nicht als einen einzigen Knopf vor, sondern als eine Werkzeugkiste mit hochspezialisierten Instrumenten für jede Phase eures Buchprojekts.

Phase 1: Konzeption & Planung (Der Architekt)

  • Ideen finden: Die gefürchtete Schreibblockade? Nutzt die KI als unermüdlichen Brainstorming-Partner. Füttert sie mit vagen Stichworten und lasst euch Plot-Ideen, Charakterkonzepte oder überraschende Wendungen vorschlagen, um euren Gedankenfluss in Gang zu bringen.
  • Struktur schaffen: Sobald die Grundidee steht, kann euch eine KI helfen, ein solides Gerüst zu bauen. Lasst euch eine Gliederung für euer Sachbuch erstellen oder euren Roman entlang bewährter dramaturgischer Modelle wie der Drei-Akt-Struktur oder der Heldenreise plotten.

Phase 2: Kreation & Ausarbeitung (Der Baumeister)

  • Charaktere vertiefen: Eure Figur braucht mehr Tiefe? Gebt der KI Eckdaten wie Alter, Beruf und Ängste und bittet sie, eine detaillierte Hintergrundgeschichte, Motivationen oder typische Verhaltensweisen auszuarbeiten.
  • Welten bauen (Worldbuilding): Besonders für Fantasy- und Sci-Fi-Autoren ein Segen. Lasst euch Details für eure fiktiven Welten generieren – von politischen Systemen über kulturelle Normen bis hin zu geografischen Beschreibungen.
  • Formulieren & Verfeinern: Dies ist der kontroverseste Bereich. Anstatt ganze Kapitel generieren zu lassen, könnt ihr die KI nutzen, um bereits geschriebene Abschnitte stilistisch zu verbessern oder alternative Formulierungen für einen Satz zu finden.

Phase 3: Überarbeitung & Marketing (Der Veredler)

  • Analyse & Konsistenzprüfung: Hier liegt eine oft übersehene Superkraft der KI. Ihr könnt eure fertigen Kapitel in die KI füttern und sie bitten, eine Art „Romanbibel“ zu erstellen: eine Zusammenfassung aller Charaktere, Orte und wichtigen Handlungsstränge. So könnt ihr schnell überprüfen, ob die Augenfarbe eurer Hauptfigur plötzlich wechselt oder ein Handlungsfaden im Nichts verschwindet. Die KI kann sogar analysieren, ob eine Figur „im Charakter“ handelt, was euch hilft, Plotholes zu vermeiden und später eurem Lektor eine Menge Arbeit abnimmt.
  • Lektorat: Moderne KI-Tools wie Grammarly gehen weit über eine einfache Rechtschreibprüfung hinaus und liefern euch tiefgehende Analysen zu Grammatik, Stil und Tonalität eures Textes. Leider sind solche Tools noch nicht für Deutsch erhältlich. Aber das ist nur eine Frage der Zeit. ChatGPT oder Gemini haben diese Fähigkeiten nämlich durchaus.
  • Marketing-Texte: Das Schreiben von Werbetexten ist für viele Autoren eine lästige Pflicht. Hier glänzt KI: Sie erstellt euch schnell und effektiv ansprechende Klappentexte, Buchbeschreibungen für Amazon und prägnante Social-Media-Posts.

Die dunklen Wolken: Rechtliche und ethische Fallstricke

Bei aller Begeisterung für die neuen Möglichkeiten schwebt ein Damoklesschwert über der KI-Welt. Die Probleme sind fundamental und könnten die Art, wie wir diese Werkzeuge nutzen, von Grund auf verändern.

Das rechtliche Fundament wackelt

Der größte Streitpunkt ist nicht eure individuelle Nutzung, sondern wie die KI-Modelle überhaupt entstanden sind. Autoren-Giganten wie George R.R. Martin und John Grisham verklagen OpenAI und andere Firmen. Ihr Vorwurf: Ihre urheberrechtlich geschützten Bücher wurden ohne Erlaubnis und ohne Vergütung zum Training der KI verwendet. Sie nennen diesen Prozess „systematischen Diebstahl in großem Stil“. Diese Klagen schaffen eine massive Unsicherheit. Sollten die Gerichte den Autoren recht geben, könnten die KI-Tools, die ihr heute nutzt, morgen teurer, qualitativ schlechter oder im schlimmsten Fall gar nicht mehr verfügbar sein.

Kennzeichnungspflicht – Die Frage nach der Seele der Literatur

Jenseits der Juristerei tobt eine philosophische Debatte. Kritiker befürchten, dass ein breiter KI-Einsatz zu einem literarischen „Einheitsbrei“ führt – zu homogenen, klischeehaften Texten ohne die emotionale Tiefe, die nur aus gelebter menschlicher Erfahrung entstehen kann. Eine KI hat nie geliebt, verloren oder getrauert. Kann sie dann wirklich eine Geschichte schreiben, die uns im Herzen berührt?

Das führt direkt zur Frage der Transparenz. Wärt ihr als Leser enttäuscht, wenn euch ein Roman zu Tränen rührt und ihr im Nachhinein erfahrt, dass eine Maschine ihn geschrieben hat? Die Rufe nach einer „Kennzeichnungspflicht“ für KI-generierte oder -unterstützte Texte werden lauter. In der Praxis geht der größte Player auf dem Buchmarkt hier bereits voran: Amazon verlangt von Self-Publishern auf seiner KDP-Plattform, beim Hochladen eines Buches anzugeben, ob Texte, Bilder oder Übersetzungen KI-generiert sind. Bisher dient diese Abfrage zwar nur der internen Information und wird den Käufern nicht angezeigt, sie ist aber ein klares Zeichen, wohin die Reise geht.

Fazit: Der Autor als Kurator – Ihr habt die Kontrolle

Was bedeutet das alles für euch als Schreibende? Die Rolle des Schriftstellers verändert sich: weg vom alleinigen Schöpfer, hin zum kreativen Direktor oder Kurator, der eine neue, mächtige Technologie meistert.

Die Zukunft des Schreibens ist, wie so vieles in der heutigen Berufswelt, hybrid. Es geht also nicht um „Mensch ODER Maschine“, sondern um eine kluge und bewusste Kollaboration. Eure Kernkompetenz – das kreative Erzählen, die Entwicklung einzigartiger Charaktere und die sprachliche Gestaltung – wird wichtiger denn je. Denn nur wer das Handwerk des Schreibens wirklich beherrscht, kann die Vorschläge einer KI sinnvoll bewerten, den Schrott verwerfen und die brauchbaren Elemente so veredeln, dass sie sich nahtlos in die eigene, unverkennbare Stimme einfügen.

Letztlich stellt sich für jeden von uns die ethische Frage, auf welchem Fundament wir unsere Kreativität aufbauen wollen. Der Einsatz von KI ist nicht nur eine technische, sondern auch eine moralische Entscheidung.

Wollen wir Werkzeuge nutzen, die möglicherweise auf dem unlizenzierten geistigen Eigentum anderer Autoren trainiert wurden?

Wo ziehen wir die Grenze zwischen inspirierender Assistenz und dem Verlust der eigenen schöpferischen Leistung?

Diese Fragen muss jeder für sich selbst beantworten.

Die gute Nachricht ist: Ihr habt die Wahl. Ihr bleibt die entscheidende Instanz. Die KI ist nicht der Autor – sie ist euer Co-Pilot. Ihr sitzt am Steuer. Der Weg des traditionellen Schreibens, der allein auf menschlicher Vorstellungskraft und Mühe beruht, ist und bleibt eine wertvolle und legitime Option. Niemand zwingt euch, mit ChatGPT & Co. zu arbeiten.

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Helmut Barz – WortSupport

Dramatiker, Romancier, Vortragskünstler ebenso wie Texter und Übersetzer: Seit mehr als drei Jahrzehnten gehört meine Liebe dem Aneinanderreihen von Wörtern – eine Leidenschaft, die zum Beruf geworden ist. In diesem Blog versammele ich meine Expertise rund um das kreative Schreiben. 

Ihr habt Fragen, die ich hier beantworten soll? Schreibt sie in die Kommentare, nutzt das Kontaktformular oder schickt mir eine Mail: helmut@writing-rules.com.

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