Literarisch übersetzen mit KI

Am Beispiel meiner Kurzgeschichte
„My Home is my Castle“

Eine englische Ausgabe, das wäre was? Klar, davon träumen wir alle – vom internationalen Buchmarkt, speziell vom englischsprachigen. Auch und gerade die Self-Publisher unter uns, die über Amazon KDP oder Ingram Spark theoretisch sofort loslegen könnten. Wenn da nicht diese kleine Hürde wäre: die Übersetzung.

Ein professioneller Übersetzer? Vergessen Sie’s – bei 7 bis 10 Cent pro Wort ist man schneller pleite als die eigene Smart-Home-KI „Eindringling!“ rufen kann. Die Übersetzer, die für SPler auf Beteiligung arbeiten? Im besten Fall talentierte Anfänger, im schlimmsten Fall Betrüger, die nach den ersten drei Seiten alles durch Google Translate jagen. Selbst übersetzen mit dem bisschen Schulenglisch? Zwischen „ganz gut Englisch“ und dem Niveau eines Übersetzers liegen Welten – und Übersetzer arbeiten aus gutem Grund in ihre Muttersprache, nicht umgekehrt.

Bleibt also die KI. Aber kann die wirklich helfen? Ich hab’s für euch getestet.

Der Versuchsaufbau: Eine Smart-Home-Geschichte wird smart übersetzt

Als Testobjekt diente meine Kurzgeschichte „My Home is my Castle“ – eine kleine dystopische Smart-Home-Story über einen Mann, der von seiner eigenen KI-gesteuerten Villa gefangen gehalten wird. Ironisch, nicht wahr? Eine Geschichte über eine überfürsorgliche KI, übersetzt von KIs.

Zum Test angetreten sind: DeepL (der deutsche Platzhirsch unter den Übersetzungsdiensten), sowie die LLMs ChatGPT, Claude und Gemini. Alle mit Bezahl-Accounts, denn wer sparen will, bekommt auch nur Sparflammen-Ergebnisse.

Die Vorbereitung: Ohne Fleiß kein Preis

Während DeepL auch längere Word-Dokumente am Stück verschlingt, müssen die LLMs gefüttert werden wie Kleinkinder: häppchenweise. Texte in Chunks von 2000 bis 4000 Wörtern aufteilen und in ein Format bringen, das die Systeme mögen – Markdown oder Plain Text. Word-Dokumente? Die verwirren die armen Dinger nur.

Tipp aus der Praxis: Wer Leerzeilen als Szenentrenner verwendet, sollte diese durch sowas wie „#Szenentrenner#“ ersetzen. LLMs interpretieren Leerzeilen gerne mal als Einladung zur kreativen Textneugestaltung.

Bevor es ans Übersetzen geht, braucht’s ein Glossar mit Personennamen, Orten und Fachbegriffen. Und eine Stilbeschreibung – eine dystopische SciFi-Story verlangt nach anderen Worten als eine Gothic Novel aus dem 19. Jahrhundert. Die gute Nachricht: Beides lässt sich wunderbar von den LLMs selbst generieren. Claude (Modell Opus) hat sich dabei als besonders geschickt erwiesen.

Das Handling: Von kinderleicht bis komplex

DeepL macht’s einem leicht: Glossar hochladen, Quelldokument reinwerfen, Kaffee trinken, fertige Übersetzung runterladen. Nachteil: Stilistische Vorgaben? Fehlanzeige. DeepL übersetzt, wie es für Business-Dokumente gedacht ist – effizient, aber auch ein bisschen steril.

Die LLMs brauchen mehr Zuwendung. Sie müssen per Prompt genau instruiert werden: „Übersetze wörtlich, ohne Ergänzungen, behalte den Stil bei, erfinde nichts dazu.“ Letzteres ist wichtig – alle drei LLMs neigen zur kreativen Extrapolation. Sie „verstehen“ längere Texte nicht als Ganzes, sondern verarbeiten sie in Häppchen und verlieren dabei manchmal den Faden.

Die Ergebnisse: Format und Qualität

Der Output

DeepL liefert ein sauberes Word-Dokument mit erhaltener Formatierung. Praktisch, professionell, problemlos.

Claude erzeugt ein „Artefakt“ – klingt fancy, ist aber nur ein formatierter Text, den man als Markdown oder PDF exportieren kann. Format-Nacharbeit nötig.

Gemini gibt die Übersetzung nur im Chat aus. Warum es keinen Google-Docs-Export gibt? Eines der großen Mysterien unserer Zeit. Copy & Paste ist angesagt.

ChatGPT kann theoretisch Word-Dokumente ausgeben. Theoretisch. Praktisch schreibt es dabei gerne mal Fantasie-Passagen rein oder lässt Teile weg. Besser im Chat arbeiten und manuell übertragen.

Die Qualität: Vier Wege nach London

Jetzt wird’s spannend. Schauen wir uns konkrete Beispiele an, wie die vier Kandidaten mit meinem Text umgegangen sind:

Beispiel 1: Der Einstieg

Original: „Das lasse ich über Elizas Tür einmeißeln. In goldenen Lettern. Wenn ich hier jemals wieder rauskomme.“

  • DeepL: „I’m going to have that carved into Eliza’s door. In gold letters. If I ever get out of here.”
  • ChatGPT: „That’s what I’ll have carved above Eliza’s door. In golden letters. If I ever get out of here again.”
  • Claude: „I’ll have that engraved above Eliza’s door. In golden letters. If I ever get out of here again.”
  • Gemini: „I’ll have that carved over Eliza’s door. In golden letters. If I ever get out of here again.”

Alle treffen den Ton, aber mit feinen Unterschieden: DeepL bleibt nah am Original („into“), ChatGPT und Claude fügen „above“ hinzu (macht Sinn!), Gemini wählt „over“. ChatGPT’s „That’s what“ klingt flüssiger als DeepLs wörtliches „I’m going to have that“.

Beispiel 2: Die kulturellen Referenzen

Original: „Aber eines nach dem anderen“

  • DeepL: „But first things first”
  • ChatGPT: „But one thing at a time”
  • Claude: „But one thing at a time”
  • Gemini: „But first things first”

DeepL und Gemini wählen die englische Redewendung, ChatGPT und Claude bleiben wörtlicher. Beides funktioniert, zeigt aber unterschiedliche Übersetzungsphilosophien.

Beispiel 3: Der heikle Humor

Original: „Hätte ich doch mal mit Eliza geschlafen! Es mir in ihrem mechanischen Schoße gut gehen lassen.“

  • DeepL: „If only I had slept with Eliza! Enjoyed myself in her mechanical lap.”
  • ChatGPT: „Should’ve just slept with Eliza! Let myself be rocked in her mechanical lap.”
  • Claude: „If only I had slept with Eliza! Made myself comfortable in her mechanical lap.”
  • Gemini: „If only I had slept with Eliza! Let myself be comfortable in her mechanical lap.”

ChatGPT’s „Should’ve just“ trifft den saloppen Ton am besten. Die „mechanical lap“ ist bei allen dabei, aber mit unterschiedlichen Verben – ChatGPT’s „rocked“ ist besonders bildlich.

Beispiel 4: Die Action-Szene

Original: „Sirenen schreien ihre Warnung in die Nacht hinaus.“

  • DeepL: „Sirens scream their warning into the night.”
  • ChatGPT: „Sirens scream their warning into the night.”
  • Claude: „Sirens scream their warning into the night.”
  • Gemini: „Sirens scream their warning into the night.”

Volltreffer! Wenn alle vier Systeme identisch übersetzen, haben wir wohl die perfekte Formulierung gefunden.

Die Macken: Wo die KI strauchelt

DeepL neigt zum Business-Speak. Aus lockerer Umgangssprache wird schnell mal Bürodeutsch. Die Sprinkleranlage „unleashes its monsoon“ – klingt nach Geschäftsbericht, nicht nach Dramedy.

ChatGPT improvisiert gerne. Plötzlich tauchen Sätze auf, die im Original nicht existieren. Oder es interpretiert Metaphern um, macht aus „Sahneschnitte“ mal „hottie“, mal „cream puff“, je nach Laune.

Claude bleibt oft zu wörtlich. Das kann zu hölzernen Konstruktionen führen, bewahrt aber die Stimme des Originals. Manchmal die bessere Wahl.

Gemini schwankt zwischen Genialität und Chaos. Brillante Lösungen wechseln sich mit haarsträubenden Fehlern ab. Aus „Mercie“ macht es „Merci“ – korrekt! Aber dann verhaspelt es sich in längeren Sätzen.

Fazit: Solide Arbeitsgrundlagen, aber…

Die Ergebnisse? Besser als befürchtet, schlechter als erhofft. Keine der Übersetzungen ist „out-of-the-box“ veröffentlichungsreif. Claude weist selbst darauf hin, wenn man nachfragt – sympathisch ehrlich.

Was wir bekommen, sind solide Arbeitsübersetzungen. DeepL für alle, die es schnell und sauber wollen. ChatGPT für mutige Experimentierfreudige. Claude für Puristen, die nah am Original bleiben wollen. Gemini für… nun ja, für Leute, die gerne würfeln.

Der Königsweg: Eine KI-Übersetzung als Basis nehmen und von einem menschlichen Lektor überarbeiten lassen. Am besten einem Muttersprachler, der auch Deutsch kann. Das spart gegenüber einer kompletten Neuübersetzung locker 70 % der Kosten.

Also packen wir es an! Die Maschinen haben uns Arbeit abgenommen – nicht alle, aber genug, damit der Traum vom internationalen Buchmarkt ein Stück näher rückt. Und wer weiß, vielleicht liest bald jemand in Ohio oder Aberdeen von Johann Thiess und seiner mörderischen Smart-Home-Villa.

Nur sollten wir selbst vorher nochmal drüberlesen. Sicher ist sicher.

PS: Interesse an einem detaillierten Tutorial zum genauen Vorgehen? Mit konkreten Prompts, Chunk-Größen und Troubleshooting-Tipps? Lasst es mich in den Kommentaren wissen – dann stelle ich im Writing Club eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zusammen. Inklusive der Pannen, die ihr vermeiden solltet. Davon hatte ich nämlich reichlich.

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Helmut Barz – WortSupport

Dramatiker, Romancier, Vortragskünstler ebenso wie Texter und Übersetzer: Seit mehr als drei Jahrzehnten gehört meine Liebe dem Aneinanderreihen von Wörtern – eine Leidenschaft, die zum Beruf geworden ist. In diesem Blog versammele ich meine Expertise rund um das kreative Schreiben. 

Ihr habt Fragen, die ich hier beantworten soll? Schreibt sie in die Kommentare, nutzt das Kontaktformular oder schickt mir eine Mail: helmut@writing-rules.com.

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